Umfrage zu Lebensrealität und Zukunftsvorstellungen von schwulen, bisexuellen und queeren Männern
Im Frühjahr 2023 führte Pink Cross eine grosse Umfrage zu Lebensrealität und Zukunftsvorstellungen von schwulen, bisexuellen und queeren Männern durch. Ziel war es, durch einen tieferen Einblick in die Community besser zu verstehen, was sie sich wünschen, was sie wollen, worauf sie hoffen, was sie schätzen und wo Hindernisse vorhanden sind. Die Ergebnisse wurden Ende Februar 2024 in zehn Teilberichten veröffentlicht.
Innerhalb der einzelnen Erkenntnisse aus der Studie interessiert uns von queerAlternBern vor allem auch die Zusammenhänge der älteren Generation schwuler, bisexueller und queerer Männer. So ist etwa Alter und Aussehen die am häufigsten genannten Gründe zu Diskriminierungen innerhalb der Community. Diese treten besonders häufig im intimen Umfeld (Dating, Partys, Saunas) auf. Das körperliche Ideal des jungen und muskulösen schwulen Mannes ist offenbar immer noch weit verbreitet.
Community
Eine weitere wichtige Dimension von «Community», die während der Umfrage von Pink Cross untersucht wurde, sind die sogenannten Community-Orte. Prides, digitale Räume, Community-Anlässe und Bars/Clubs werden alle von mehr als 70 Prozent der Befragten genannt. Und das Alter beeinflusst die Nutzung dieser Räume: Prides und Bars/Clubs ziehen ein jüngeres Publikum an, während der Besuch von Community-Anlässen, Sport- und Kulturgruppen sowie Saunen und Cruising-Locations mit dem Alter zunimmt.
Zur Community dazugehören!
Auch wenn der Community-Begriff nach wie vor kompliziert zu definieren ist und oft diskutiert wird, ist unbestritten, dass sie als eine subjektive Gemeinschaft existiert, der man sich zugehörig fühlen kann. Und die Ergebnisse sind eindeutig: Viele Menschen fühlen sich als Teil mehrerer Communities – und zwar in unterschiedlichem Masse.
Je nach persönlichem Verständnis der eigenen Identität (schwul, bi, queer etc.) verändert sich auch das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Community – während für viele die Community umgekehrt auch wieder identitätsstiftend wirkt. Die «LGBTIQ+ Community» vereint die meisten Menschen. 90 Prozent fühlen sich ihr zumindest ein wenig zugehörig, davon 50 Prozent stark oder sehr stark, während die «Gay Community» eine kleinere Gruppe abdeckt, aber eine sehr starke Zustimmung erfährt (57 Prozent fühlen sich ihr stark oder sehr stark zugehörig). Die «queere Community» sieht eine geringere Zugehörigkeit, insbesondere bei älteren Menschen (nur ein Viertel fühlt sich ihr stark oder sehr stark zugehörig bei den vor 1960 Geborenen, gegenüber mehr als 50 Prozent bei den nach 1990 Geborenen) – der Begriff queer ist also nicht unumstritten, im Gegensatz zu LGBTIQ+, welcher breite Zustimmung findet.
Gemäss der Studie von Pink Cross scheint die Zugehörigkeit zu einer Community in erster Linie eine Frage der gemeinsamen Anliegen und der Freundschaften und Beziehungen zu sein, weniger der gemeinsamen Räume oder Aktivitäten.
Ehe
Ehe und eingetragene Partnerschaft sind bei den jüngeren Generationen (noch) nicht so beliebt. Bei den Jahrgängen 1991 und jünger sind nur etwa 4 Prozent getraut, während der Anteil bei den älteren Generationen auf über 40 Prozent steigt.
Politik und aktuelle Herausforderungen
Die von Pink Cross durchgeführte Umfrage stellte die Frage nach den zukünftigen politischen Prioritäten für LGBTIQ+-Organisationen. Die Ergebnisse zeigen: Die höchste Priorität hat die Bildung und Sensibilisierung der Gesellschaft für LGBTIQ+-Fragen – und zwar über alle Generationen hinweg.
Dabei haben einige Themen bei den verschiedenen Generationen unterschiedliche Priorität: Die besonderen Bedürfnisse der Senior*innen sind für ältere Menschen besonders wichtig, nämlich bei über 60 Prozent bei den Jahrgängen vor 1980 gegenüber weniger als 40 Prozent der jüngeren Menschen. Umgekehrt ist die Frage nach Familienrecht und Elternschaft für 70 Prozent der nach 1990 Geborenen eine Priorität, während es bei den Jahrgängen vor 1980 weniger als 50 Prozent sind.
Zukunft: vorsichtig optimistisch?
Fast zwei Drittel der Befragten sehen die Zukunft von schwulen, bisexuellen beziehungsweise queeren Männern in der Schweiz optimistisch oder sehr optimistisch. Nur ein Zehntel ist eher pessimistisch – mit einem etwas höherer Anteil bei älteren Menschen.
Der Optimismus ist jedoch nicht frei von Zukunftssorgen. Das häufig genannte Thema ist die Diskriminierung und Gewalt gegen queere Menschen. Viele befürchten Rückschritte wegen der Zunahme von Hate Crimes und Hassrede in der Gesellschaft und in der Politik, während einige Personen besorgt sind, dass die Gesellschaft durch Forderungen der LGBTIQ+-Community «überfordert» werden könnte. Dabei betonen die Befragten, wie wichtig eine Community ist, die zusammenhält und alle einbezieht, trotz der Unterschiede und der grossen Vielfalt.