Trotz Nulltoleranz keine Sicherheit in der Schweizer Armee: queere Dachverbände fordern zum Kulturwandel auf
Die soeben publizierte Studie zu Diskriminierung und sexualisierter Gewalt in der Schweizer Armee zeigt eine alarmierende Realität. Die patriarchale Kultur ist tief in den Strukturen der Armee verankert und führt dazu, dass Frauen, sowie trans, nicht-binäre, schwule, lesbische und bisexuelle Armeeangehörige tagtäglich Diskriminierung und sexualisierte Gewalt erfahren. Die queeren Dachverbände Transgender Network Switzerland TGNS, Pink Cross und die Lesbenorganisation Schweiz LOS fordern, dass die Armee endlich ihre Verantwortung wahrnimmt, den Kulturwandel anpackt und konkrete Massnahmen zum Schutz von queeren Personen ergreift.
Die Schweizer Armee hat über Jahrzehnte das Bild von «starken Männern» zum Schutz der Zivilbevölkerung kultiviert. Nun zeigt eine Studie, dass sie nicht einmal dem Anspruch auf Schutz ihrer eigenen Angehörigen gerecht wird. Die Armee fungiert weiterhin als Ort, wo kriegerische Männlichkeit reproduziert und Gewalt legitimiert wird. Sie schafft einen Raum, in dem der Schutz der Schweiz eng mit rigiden Männlichkeitsnormen verbunden ist – diese sind überwiegend cisgeschlechtlich, weiss und heterosexuell. So zeigen die soeben publizierten Ergebnisse der Befragung von 1126 Armeeangehörigen, wer besonders von sexuellen und geschlechtsspezifischen Gewalttaten betroffen ist. Es sind Armeeangehörige, die nicht dieser Norm entsprechen: Frauen und trans, nicht-binäre, schwule, lesbische und bisexuelle Menschen.
Die veröffentlichten Zahlen zeigen, dass diskriminierende Verhaltensweisen in der Armee häufiger vorkommen als in der Gesellschaft insgesamt.
Die Armee ist nicht nur ein Abbild der gesellschaftlichen Probleme – sie schafft sogar ein Umfeld, in dem Gewalt besonders stark wächst und gedeiht. Indem die Kultur der Armee Diskriminierung gegenüber ihrer marginalisierten Angehörigen nicht nur zulässt, sondern auch reproduziert, scheitert sie an ihrer Hauptaufgabe: Dem Schutz aller Bürger*innen. Die Umfrage zeigt deutlich, dass Diskriminierung gegenüber queeren Personen und Frauen nicht auf individuelles Verhalten zurückzuführen ist, sondern tief in den Strukturen der Armee selbst verwurzelt ist.
Die queeren Dachverbände sind von diesen Ergebnissen wenig überrascht, wie Roman Heggli, Geschäftsleiter von Pink Cross, erläutert: «Als junger, schwuler Mann wird man gezwungen, eine absurde Entscheidung zu treffen: Entweder man erträgt Homophobie, Diskriminierung und sexualisierte Gewalt oder bezahlt es mit Wehrpflichtersatz oder längerem Zivildienst. Trotz Lippenbekenntnissen zur Nulltoleranz, bleibt die Machokultur der Armee aber offensichtlich ungebrochen – jetzt muss durchgegriffen werden.»
Anis Kaiser, Leitung Advocacy von TGNS, ergänzt: «Trans und nicht-binäre Personen sind mit erheblichen strukturellen Diskriminierungen und spezifischen Herausforderungen konfrontiert, und die bisher vorgesehenen allgemeinen Massnahmen greifen nicht tief genug. Es braucht ein systematisches Vorgehen, das die stark binären Strukturen der Armee hinterfragt. Die Ergebnisse der Umfrage sind besorgniserregend genug, um die Dienstpflicht für trans Personen infrage zu stellen. Die Gefahr ist so hoch, dass der Militärdienst für trans Personen nicht obligatorisch sein kann, und dass Zivildienst und Zivilschutz tatsächlich zugänglich sein müssen, ohne Teilnahme an der Aushebung. Schliesslich bedarf der Rekrutierungsprozess, insbesondere die speziellen Kommissionen, einer Überarbeitung: Trans Personen sollten nicht irrelevante Fragen zu ihrer Geschlechtsidentität ausgesetzt sein, und eine fundierte Schulung der Militärärzte ist entscheidend für einen respektvollen Umgang mit den Identitäten aller.»
Indem die Armee sehr viele junge Männer erreicht, hat sie auch eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung, wie Alessandra Widmer, Co-Geschäftsleiterin der LOS, betont: «Gewalt und Diskriminierung gegen queere Personen geht in den allermeisten Fällen von cis heterosexuellen Männern aus. Als junge Männer erleben sie im Militär, dass die Diskriminierung von Minderheiten toleriert, ja sogar bestärkt wird. Die Gewalt im Dienst führt zu mehr Gewalt in der Gesellschaft.»
Zeitgleich mit den Studienergebnissen erscheint auch der Aktionsplan gegen Diskriminierung und sexualisierte Gewalt der Fachstelle Frauen in der Armee und Diversity (FiAD). Die queeren Dachverbände erachten dies als längst fälligen ersten Schritt und fordern, dass die Massnahmen mit queer-spezifischen Massnahmen ergänzt werden.
Gemäss einer Medienmitteilung vom 31. Oktober 2024
