Aids-Hilfe Schweiz: Menschlichkeit im Vordergrund

Am Freitag, 13. Juni 2025 feierte die Aids-Hilfe Schweiz ihr 40-jähriges Bestehen mit einem abwechslungsreichen Programm im Landesmuseum Zürich. Der Tag begann mit einer interdisziplinären Fachtagung und endete am Abend mit einer feierlichen Jubiläumsveranstaltung. Mit dabei war eine Delegation unseres Vereins, Hans Zuberbühler war auch an der Fachtagung dabei. Hier seine Nachlese.
Es ist nun 40 Jahre her, seit die Aids-Hilfe Schweiz gegründet wurde. Die Aktivist*innen der Gründerzeit, darunter auch «unser» Max Krieg, berichteten in einem kleinen Kreis über die damalige Situation. Damals, als es gegen HIV-Infektionen keine Medikamente gab, als die Betreuung und Unterstützung der Patienten zur Sterbebegleitung wurde. Gegen die Machtlosigkeit gab es nur einen Kampf gegen Ausgrenzung und um Menschlichkeit. Es war eindrücklich zu sehen, wie diese Menschen, durch ihre Aufgabe geprägt, und in ihrem aussichtslos scheinenden Kampf zusammengeschweisst und von gegenseitigem Respekt und Unterstützung getragen, zu einer «verschworenen Gemeinschaft», oder besser zu einer Familie, wurden. Diese Verbundenheit war auch jetzt noch deutlich spürbar.
Betroffenheit und Engagement und sehr viel Herzblut war im Vortrag des Redners über die grosse Sammlung von Quilts zu spüren, die für jeden einzelnen Aids-Toten angefertigt wurde und ein Kampf gegen das Vergessen und ein Kampf um Würde sind.
Ich möchte kurz auf fünf PowerPoint-Präsentationen eingehen, die alle Teilnehmenden der Tagung erhalten haben.
U=U kannte ich bisher nicht. Undetectable=Untransmittable: Wenn das Virus unter medizinischer Behandlung nicht mehr nachweisbar ist, ist HIV auch bei ungeschütztem Sex nicht mehr übertragbar, auch bei Sex ohne Kondome.
→ weitere Informationen zu «Undetectable» bei Dr. Gay
Nach Marlon Gattiker, Projektleiter für «Leben mit HIV», ist Ignoranz der Hauptgrund für die Stigmatisierung von Menschen mit HIV. Gemäss seinen Aussagen bestehen bei 18000 Gesundheitsfachpersonen in Europa grosse Wissenslücken, 70 Prozent kennen U=U nicht, wissen auch nichts über PEP (Postexpositionsprophylaxe) oder über PrEP (Präexpositionsprophylaxe). 60 Prozent dieser Angestellten im medizinischen Sektor seien besorgt beim Blutabnehmen, würden Doppelhandschuhe tragen oder würden die Behandlung von Drogenabhängigen ablehnen. Bei der Allgemeinbevölkerung in der Schweiz ist das Unwissen ähnlich hoch, 20 Prozent die U=U kennen, halten die Feststellung für unwahr, dass eine Ansteckung nicht mehr möglich sei.
Durch die Selbststigmatisierung von Menschen mit HIV, indem sie auch engen Familienmitgliedern und Vertrauenspersonen ihren Status verheimlichen, resultiert eine Angst, vom Gesundheitspersonal anders behandelt zu werden. Es kommt zu einer Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit von Menschen mit HIV. Depressionen und Angststörungen, Schlafstörungen sind viel verbreiterter als bei der Durchschnittsbevölkerung. Um die Lebensqualität zu verbessern, braucht es vermehrt Enpowerment und Unterstützung mit Rechtsberatung und psychosozialer Beratung und eine Sensibilisierung der Öffentlichkeit.
Milo Puhan, Professor für Epidemiologie & Public Health der Universität Zürich zeigte auf, dass es eine glaubenswürdige Wissensbasis in der Bevölkerung braucht, damit HIV besser angegangen werden kann, denn Zahlen allein sprechen nicht für sich selbst. Und er zeigt auf, wie wichtig Sensibilisierung der Öffentlichkeit und Unterstützung der Menschen mit HIV sind, damit sich eine glaubwürdige Wissensbasis entwickeln kann.
Caroline Suter und Dominik Bachmann von der Aids-Hilfe Schweiz stellen fest, dass Menschen mit HIV immer noch zahlreiche Diskriminierungen, oft durch veraltete Vorstellungen, erleben. Fortschritte gibt es beim Datenschutz, weniger Einreisehürden, Zugang zu Lebensversicherungen, Entkriminalisierungen. Herausforderungen bestehen weiterhin im Gesundheitswesen und bei Privatversicherungen. Die Aufklärung bleibt zentral: Wissen wirkt gegen Diskriminierung. In der Schweiz ist für Menschen mit HIV zudem der Rechtsschutz unzureichend und die Schweiz braucht ein Antidiskriminierungsgesetz.
Das 95-95-95 Ziel ist ein von UNAIDS gesetztes Ziel zur Beendigung der Aids-Epidemie. Bis 2025 sollten 95 Prozent aller Menschen mit HIV ihren Status kennen. 95 Prozent eine antivirale Therapie erhalten, und 95 Prozent der Behandelten eine Virusunterdrückung erreichen. Frau Dr. Johnson von der WHO plädiert für einen möglichst einfachen Zugang zur Selbsttestung. Die heutigen Selbsttests seien sehr genau. Hingegen hat ein Test, der nicht gemacht wird, eine Trefferquote von 0. Sie kritisiert die Schweiz, weil hier zu wenig getestet werde. Oder dann würden HIV-Tests in hochqualifizierten Labors durchgeführt. Oder dann würden die falschen Leute getestet. Nichtdiagnostizierte Infektionen bei MSM (Männer, die Sex mit Männern haben) sei hierzulande immer noch hoch und führe zu weiteren Infektionen.
Frau Dubula, aus Südafrika von «The Global Fund» wies auf die unterschiedlichen Ergebnisse bei Bekämpfung von HIV je nach Region und Ländern hin. Wie die Kriminalisierung von Homosexualität, von jedem Aspekt von Sexarbeit, Kriminalisierung bei Besitz auch kleinster Mengen von Drogen den Zugang zu einer HIV-Therapie erschwert oder verunmöglichst.
→ weitere Informationen 95-95-95-Ziel bei Dr. Gay
Zusammengefasst gilt für mich das, was Dr. Puhan gesagt hat: Eine glaubwürdige Wissensbasis zu schaffen ist der kritische Link, mit Empowerment und Unterstützung für Menschen mit HIV, pragmatisches Vorgehen bei den HIV-Tests, Kampf gegen Diskriminierung mit Unterstützung vulnerabler Gruppen. Wissen ist sozial konstruiert. Also genau das, was die Aids-Hilfe Schweiz schon immer macht.
Am meisten aber hat mich beeindruckt, was mir anschliessend Hanspeter bei einem Bier im Hof des Landesmuseums erzählt hat. Ja, er sei seit den Anfängen Mitglied bei der Aids-Hilfe Schweiz. Er habe in den achtziger Jahren seinen damaligen Partner, der schliesslich an Aids starb, zuhause allein gepflegt. Erst während der letzten vier Wochen habe er die Hilfe der Spitex und der Mutter des Partners beansprucht. Der Hausarzt hätte Hausbesuche gemacht. Diese lange Pflegezeit habe ihn für sein Leben geprägt und bedeutet ihm auch jetzt noch sehr viel. Es ist eine Geschichte voller Schmerz, Verlust, aber auch die Geschichte einer grossen Liebe.
Hans Zuberbühler, pensionierter Hausarzt

