«Gemeinsam kämpfen. Gemeinsam diskutieren. Gemeinsam geniessen»
Obenstehendes Bild – aufgenommen an einem queeren Gottesdienst in der Heiliggeistkirche – symbolisiert für mich etwas, das ich am Anlass zum Thema «Wie verhält es sich mit dem Wörtchen Queer?» vom 15. September 2025 gesagt habe: «Wenn in einem dunklen Raum mehrere Kerzen brennen, nimmt das dem Licht der ersten oder der ersten beiden Kerzen nichts weg – im Gegenteil: der Raum wird heller und wärmer».
Impuls ... referat
Der von queerAlternBern und hab queer Bern organisierte Abend begann mit einem Inputreferat von Lovis N. Cassaris (keine Pronomen, er, lov) zum Thema «Gibt es die queere Community? Und wer zählt dazu?». Da ich beim Schreiben besser denken kann als ohne, habe ich mitgeschrieben und fasse hier meine Notizen zusammen, auch weil aus dem Publikum das Feedback kam, der Vortrag sei gut aber zu schnell gewesen.
Der Begriff «queer» ist unscharf und das gehört zu seinem Wesen – begründet aber gleichzeitig seine politische Kraft. Entstanden aus einem englischen Wort, das eine Abweichung von der Norm (damals noch ohne Bezug zu sexueller oder geschlechtlicher Orientierung) bezeichnete, wurde das Schimpfwort in den 1980er Jahren allmählich zu einer positiven Selbstbezeichnung. Der Begriff schwul in der deutschen Sprache erlebte eine ähnliche Entwicklung.
Im Juni 1969 fanden die Stonewall Riots in New York statt, die gemeinhin als Auslöser des Gay Liberation Movement und der Gay Pride gelten, also der Befreiungsbewegung der Schwulen und der Pride. Im deutschsprachigen Raum gab es die Homophile Bewegung, die allerdings harmlos blieb, vielleicht auch weil sie vor allem auf Intellektuelle beschränkt war und nie wirklich mit der Pathologisierung der Homosexuellen gebrochen hat. «Das Private ist politisch» – dieser Kernbegriff des Feminismus inspirierte die Gay Liberation und ein schambefreites Leben für Schwule und Lesben war das Ziel.
In den 1980er Jahren kam durch die Aids-Krise befeuert eine Phase der Moralisierung.
In der Folgezeit bezeichnete «queer» eine weitergehende Allianz als Kritik an der heteronormativen, homophonen Mehrheitsgesellschaft. Identität wurde zentral, in ihrer ganzen Vielfalt und Komplexität. «Geschlecht ist konstruiert, nicht innere Realität, sondern performativ, entsteht durch die Wiederholung (Judith Butler)». Als Ergänzung zu den existierenden Lesbian- und Gay Studies entstanden die Queer Studies mit Fokus aus Sprache, der Konstruktion von Wirklichkeit und dem Ziel, durch Fragen die hegemonialen Konzepte (bestehende Machtstrukturen) ins Wanken zu bringen. Es geht also nicht um die «richtige Antwort».
Vielleicht wäre es besser, von queeren Communities zu reden als so zu tun, als gäbe es eine einzige, klar definierte queere Community.
Podium und Publikumsdiskussion
Unter der Leitung von Daniel Frey (er/ihm) diskutierten der Trans-Aktivist Henry Homann (er/ihm), der schwule Aktivist Max Krieg (er/ihm), Elisha Schneider (keine Pronomen) genderfluid und politisch aktiviert, die queere Stadträtin Esther Meier (sie/ihr) und die feministische Lesbe Marianne Uli (sie/ihr).
Es ging um Fragen wie: Bestimmen Lesben und Schwule als Mehrheit innerhalb einer queeren Community, welche Themen und Anliegen relevant sind? Warum stossen Bisexuelle öfter auf Unverständnis? Gehören trans Personen nur dazu, wenn sie sich im binären Schema einordnen? Machen sich nicht-binäre und aromantische/asexuelle Personen verdächtig, weil es «das oder sie gar nicht gibt»? Gehen dabei vor lauter «Kopf» Freude, Lust, Erotik und Sexualität verlustig?
Zwei Worte habe ich notiert: Minderheitenstress und Non-binary Lesbian. «Strube Konstrukte» war die Bezeichnung für Beziehungen, die auch queere Normen in Fragen stellen: wenn in einer Beziehung eine Person transitioniert, was hat das für Folgen? Wird die Partnerin dann automatisch zur Lesbe? Oder wird eine queere Beziehung heteronormativ? Es ist anstrengend und auch emotional schwierig, das Gefühl zu haben, sich beweisen zu müssen, eine Minderheit in der Minderheit der Minderheit zu sein (als non-binäre Person in der trans Community in der queeren Community in der Mehrheitsgesellschaft) oder als bisexuelle Person in einer scheinbar hetero Beziehung als Verräter*in an der queeren Sache angesehen zu werden.
Besonders fiel mir auf, dass im Bezug auf Rechte oder öffentliche Aufmerksamkeit häufig von einem Nullsummenspiel ausgegangen wird – «Der Kuchen wird nicht grösser, aber die Stücke kleiner» – «Die Aufmerksamkeit auf die trans Personen macht und Lesben unsichtbar» – «die Buchstabenschlange wird immer länger und unaussprechlicher, die Neuankömmlinge wollen auch einen Platz am Tisch» – «Die jungen Schwulen mit ihren herzigen Kindern aus den USA verlangen nach Eizellenspende und Leihmutterschaft – für mich als Feministin unakzeptabel, dass Männer über die Körper von Frauen bestimmen und Kinder kaufen» – sind mir im Gedächtnis geblieben.
Ich spiele Schach und das ist ein Nullsummenspiel – mein Gewinn ist dein Verlust, mein Vorteil dein Nachteil. Die Summe aller Gewinne und Verluste ergibt am Schluss null, die Ressourcen sind streng begrenzt. Sind gesellschaftliche Rechte, Liebe, Sichtbarkeit und Würde wirklich solche Ressourcen? «Es ist genug Ehe für alle da» steht bis heute auf meiner Tasche von 2021 und am 26. September 2021 stimmte das Stimmvolk mit 64.1 Prozent Ja-Stimmen und in allen Kantonen dieser Aussage zu. Die ersten Anläufe in den 1990er Jahren scheiterten, das Gesetz zur eingetragenen Partnerschaft von 2007 brachte einige Fortschritte und Rechte, aber noch nicht alle.
Mein Votum zu Beginn der Publikumsdiskussion begann mit der Progress Pride Flag, die ich als Vertreterin von hab queer bern an der Zürich Pride von einem schwedischen Möbelhaus als Schlüsselband bekommen habe: neben den klassischen Regenbogenfarben sind auch die Farben der trans Menschen und der farbigen Menschen vertreten. Stonewall waren eben nicht nur weisse schwule Männer, sondern auch (um es in heutigen Worten zu sagen) trans Menschen, farbige Menschen, Drag Queens und Verbündete, dass also diejenigen, die in der Abkürzung hinter LGB genannt werden, dass TQIA+ nicht einfach «Neuankömmlinge» sind, sondern unsichtbar immer dabei, oft in der ersten Reihe.
Wenn ich atme, nehme ich dir keinen Sauerstoff weg (ausser jemand steckt uns in eine enge Kiste und schlisst den Deckel) oder wenn weitere Kerzen dazukommen, wird der Raum heller und wärmer, ohne dass die schon brennenden Kerzen auslöschen oder ihr Licht dunkler wird.
Der anschliessende Apéro bot die Gelegenheit, das «Gemeinsam kämpfen. Gemeinsam diskutieren. Gemeinsam geniessen» in die Tat umzusetzen und alten und neuen Familienmitgliedern zu begegnen.
Änn Vincent Dällenbach (they/them), Theolog*in
