Ein Platz am Tisch für alle – und ganz viele Details

Am Samstag, 18. Oktober 2025 fand in Wabern bei Bern in der «Heiteren Fahne" die jährliche LGBTIG Conference – organisiert von unseren Dachverbänden - statt. Überragendes Thema bei den Keynotes und Workshops war der «Backlash». Änn Vincent Dällenbach wagt einen Rückblick auf die LGBTIQ Conference – persönlich und aus einem etwas anderem Blickwinkel.
Es war meine erste LGBTIQ Conference, an der ich teilnahm – und zwar als Volunteer der Organisation, beim Check-In. Wir haben die Namensschilder bereitgelegt und die Schlüsselbänder: blaue für Menschen, die auf keinen Fotos erscheinen wollen und neongelbe, neonorange und grüne für alle anderen. Ausser den Namen hatte es Pronomen und Organisationen, eine wunderbare Vielfalt. Praktisch war, dass die Workshops, für die die Teilnehmenden sich (vor einiger Zeit) angemeldet hatten, hinten aufgedruckt waren.
Einige Teilnehmende fanden die Frage nach dem fotografiert werden überflüssig oder witzig – dabei gibt es viele Gründe, sie zu stellen: nicht alle Menschen sind geoutet, in einigen Arbeitsumfeldern ist es ein Risiko, offen queer zu sein. Bei anderen ist es Disphorie oder wieder andere wollen selbst entscheiden, in welchen Moment sie fotografiert werden und was mit einem Bild passiert. Jemand mit einem blauen Band kam am Abend zu mir und meinte, es sei peinlich, als fast einzige Person ein blaues Band zu tragen und ich sagte, dass ich es wichtig finde, zu sich und seinen Grenzen zu stehen und auch wenn nur eine einzige Person ein blaues Band trägt, ist es wichtig, blaue Bänder anzubieten.
Am Ende des Tages, zwischen Conference und Community Night, haben wir die Schlüsselbänder, die Plastikhüllen und die Namensschilder wieder eingesammelt – wer das Namensschild aus Papier behalten wollte, durfte das, die Plastikhüllen und Bänder (die erstaunlich teuer sind) werden wiederverwendet. Einige fanden auch hier die Frage, ob sie das Namensschild behalten wollen, witzig: «Ich weiss, wie ich heisse» war eine häufig gehörte Antwort. «Vielleicht ist es das erste Mal, dass der richtige Name oder die richtigen Pronomen schwarz auf weiss gedruckt sind» habe ich geantwortet und mich an mein erstes Namensschild mit Änn Vincent erinnert – und daran, dass ich weiterhin alle sammle, um irgendwann den Antrag zu stellen, auch im Pass Änn Vincent zu sein und nicht Ann.
Da einige nur am Morgen dabei waren, hatten wir schon einige als «Muster» auf dem Tisch und weil ich Zeit hatte, habe ich angefangen, die «Rohstoffe» zu trennen und viele Teilnehmenden gaben ihre dann auch getrennt ab. Wenn jede Person ein Papier aus dem Plastik «chnüblet» und die Bänder schon auf farblich getrennten Haufen liegen, muss nicht eine Person über 100-mal diese Bewegung machen und mit der Zeit tut es auch den Fingern nicht gut, diese Kanten zu spüren – ein weiteres kleines Detail, das aber für diese eine Person hinter den Kulissen einen Unterschied macht.
Wir hatten viele Namensschilder, die nicht abgeholt wurden. Einige meldeten sich ab und da wir viele Teilnehmende hatten, die nicht auf der Liste standen, als die Namensschilder gedruckt waren, haben wir versucht, aus den «nicht benötigten» solche für die «nicht gedruckten» zu basteln – ich erinnere mich an Konferenzen im beruflichen oder kirchlichen Umfeld, bei denen ich kein «echtes» Namensschild hatte, weil niemand daran dachte, die Übersetzenden anzumelden, und wie unwohl ich mich fühlte, «geoutet» als Nachtrag … Eine Zeit lang sah es so aus, als hätten wir viel mehr Teilnehmende als angemeldet und die Frage stand im Raum, ob das Mittagessen für alle reicht, was zu folgender Menükarte führte:
- Basmatireis
- Gemüseeintopf
- Blattsalat
Und weil ihr doch mehr seid als geplant:
- Noch ein bisschen Baba Ganoush
- Sauerteigbrot
- Birnenkuchen
Im Gemüseeintopf hatte es wie bei vielen Currys Kokosmilch. Jemand mit einer Unverträglichkeit nahm sich einfach Salat und Brot, weil «nackter» Reis nicht so prickelnd ist – und das Team der «Heitere Fahne» bot dann Pesto mit Reis an: eine ungewohnte Kombi, aber kreativ. Als bei der Community Night das Dessert als Kokoscreme angekündigt wurde, schauten wir uns an und er fragte, ob ich zwei Desserts wolle, was ich bejahte. Die «Heitere Fahne» servierte ihm als erstem an unserem Tisch ein besonderes, kokosfreies Dessert und ich war so glücklich darüber, wie sie das gelöst haben – glücklicher, als wenn ich zwei Desserts gehabt hätte.
Die Community Night war beeindruckend, vor allem weil es Menschen gibt, die mehr für ihr Essen bezahlen, damit andere, die weniger Geld zur Verfügung haben, auch dabei sein können. Diese gelebte Solidarität tut so gut, gerade weil sie nicht selbstverständlich ist in einer Welt und Zeit, in der häufiger Menschen gegeneinander ausgespielt werden, Gruppen für sich und die eigenen Vorteile kämpfen und meinen, zu kurz zu kommen. Wenn alle am Tisch Platz haben, wenn alle Stimmen gehört werden und wir versuchen, einander zu sehen, zu verstehen und begegnen, wird die Welt viel bunter und Gemeinschaft mehr als ein Wort.
Ich habe keine einzige Rede gehört, bei keinem Workshop mitgemacht, obwohl ich ursprünglich als Teilnehmende für zwei angemeldet war und mir bewusst ist, dass gerade das Thema «Backlash» wichtig ist. Am Empfang präsent zu sein, Fragen zu beantworten, jemandem zuzuhören oder das Team zu unterstützen schien mir für diesen Tag mein Beitrag zu sein. Nach dem Dessert verliess ich die Community Night, weil mein Erlebnistank voll und mein Energietank leer war - und heute, am Sonntagnachmittag, bringe ich diese Gedanken auf (digitales) Papier, weil ich innerlich so bewegt bin von der Community, den Begegnungen mit Menschen, die ich schon länger kenne und mit Menschen, denen ich gestern das erste Mal begegnet bin, von der Kraft der Gemeinschaft und den vielen Details, die es braucht, damit eine grosse Konferenz zu einem guten Erlebnis für möglichst alle wird.
Änn Vincent Dällenbach (they/them)

